Ybbstal- und Erlauftalradweg (3.-5. Mai 2024)
Bisher beschränkten sich meine Radunternehmungen auf Eintagestouren mit einer Distanz bis zu 90 Kilometer. Wir fuhren rund um den Neusiedlersee – eigentlich nur auf der österreichischen Seite, von Mörbisch nach Illmitz -, unternahmen Touren in heimatlichen Gefilden und im Waldviertel.
Eine Mehrtagestour hatten wir noch nie unternommen. Für das Pfingstwochenende im Mai war erstmals eine solche geplant. Auf dem Alpen-Adria-Radweg von Villach nach Grado – ein Klassiker. Als Vorbereitung möchte ich vorher einmal eine Mehrtagestour machen. Eine Gelegenheit dazu ergibt sich Anfang Mai. Nach längerem Suchen und Überlegen entscheide ich mich für den Ybbstalradweg bis nach Lunz am See und für auf dem Erlauftalradweg zurück. Das ergibt eine schöne Runde mit ca. 170 Kilometern, die in drei Tagesetappen problemlos zu machen sein wird.
Geplant ist, am ersten Tag von Pöchlarn über den Donauradweg nach Ybbs und dann auf dem Ybbstalradweg bis nach Waidhofen/Ybbs zu fahren. Das sind ca. 60 Kilometer. Am zweiten Tag dann 55 Kilometer von Waidhofen bis nach Lunz am See, und am dritten Tag nochmals 55 Kilometer den Erlauftalradweg bis nach Pöchlarn zurück. Das würde locker zu machen sein, so meine Überlegung. Das Einzige, was mir Sorgen macht, ist der Weg von Lunz nach Pfaffenschlag, denn da sind auf wenigen Kilometern etwa 250 Höhenmeter zu überwinden. Und mit dem Bergauffahren habe ich es nicht so. Ansonsten sehe ich bei meinem Vorhaben keine größeren Schwierigkeiten.
Ich buche Quartiere in Waidhofen und Lunz. Die Wetterprognose ist nicht berauschend. Es soll wechselhaft werden und genauso gestaltet sich die Wettervorhersage bis zum Beginn der Tour.
Es ist nicht nur meine erste Mehrtagestour, sondern auch meine erste Bikepacking-Tour – trotz der Annehmlichkeiten von Hotelübernachtungen. Ich habe zwei Packtaschen, das reicht für drei Tage. Vom Bergsteigen bin ich es gewohnt, mit wenig Gepäck unterwegs zu sein, das kommt mir jetzt zugute. Im Februar haben wir uns Gravel Bikes gekauft und natürlich nehme ich jetzt das anstatt dem alten Tourenrad.
1. Etappe (Freitag, 3.5.)
Voller Zuversicht – allerdings mit ein wenig angespannter Nervosität, immerhin es das erste Mal, dass ich mich auf so ein Unternehmen einlasse – starte ich am Morgen des 3. Mai, einem Freitag, mit dem Auto nach Westen.
Die Wetterprognose besagt nichts Gutes – Regen im Mostviertel den ganzen Tag über. In Traiskirchen ist es am Morgen zwar bewölkt aber es regnet nicht. Ein wenig keimt die Hoffnung auf, dass die Wettervorhersage vielleicht doch nicht ganz stimmen könnte. Tut sie aber. Als ich in St. Pölten bin, beginnt es zu regnen. Es wird den ganzen Tag über nicht mehr aufhören.
Auf der Weiterfahrt wäge ich meine Optionen ab. Abbruch – was würde heißen, die gebuchten Quartiere zu stornieren – und die Kosten dafür zu tragen. Abgesehen davon sagt die Wetterprognose für das Wochenende wieder Sonnenschein voraus.
Oder ich fahre mit dem Zug von Ybbs nach Waidhofen. Alternativ könnte ich auch mit dem Auto dorthin fahren, aber damit würde mein ganzer „Tourplan“ zunichte gemacht werden. Ich müsste dann am Sonntag von Ybbs mit dem Zug – oder dem Rad – nach Waidhofen und das Auto holen. Auch keine wirklich brauchbare Lösung.
Also entscheide ich mich schweren Herzens, bei Regen zu fahren. Vielleicht wird es ja nicht ganz so schlimm, hört wieder auf, ist nur ein vorübergehender Schauer – die Hoffnung stirbt zuletzt. Das Einzige, was ich tun kann, ist, von Ybbs anstatt von Pöchlarn loszufahren – damit spare ich mir jetzt 10 Kilometer im Regen, und muss sie eben am Sonntag anhängen.
Als ich in Ybbs beim Bahnhof parke, das Rad herrichte und mein Regengewand anziehe, sind Motivation und Stimmung auf der Nulllinie. Dort werden sie auch bleiben, bis ich in Waidhofen bin.
Aber das Jammern hilft nicht – je schneller ich losfahre, desto schneller habe ich es hinter mir. 50 Kilometer, das ist normalerweise in drei Stunden locker zu schaffen, denke ich. Und drei Stunden im Regen sind auszuhalten, denke ich.
Ich brauche allerdings schon zwei Stopp an denen ich auf der Navi-App nach dem richtigen Weg suchen muss, und verfahre mich dabei einmal, bis ich auf dem Ybbstalradweg bin. Die Tasche mit Handyfach auf dem Fahrradrahmen erweist sich als ungeeignet zur Bedienung bei Regen. Als ich dann endlich auf dem Ybbstalradweg bin, fahre ich nicht auf einem Radweg – wie erwartet – sondern auf der L 6015, die von Ybbs nach Blindenmarkt führt. Von Radweg keine Spur, dafür Werksverkehr. Zum Regen von oben gesellen sich Spritzfontänen der LKWs und PKWs von vorne und hinten. Hier zu fahren mag bei Schönwetter und am Wochenende, wo vielleicht nur Ausflügler unterwegs sind, lustig sein, jetzt – an einem Werktag bei Regen ist es das nicht. Unabhängig davon erscheint es mir auch ziemlich gefährlich.
Nach ein paar Kilometer reicht es mir. So geht das nicht. Im Wartehäuschen einer Busstation untergestellt checke ich den Weg und suche nach Alternativen in der Route. Über Neumarkt an der Ybbs und dann einen Weg entlang des Flusses nach Blindenmarkt scheine ich sie zu finden. Schlechte Idee.
Von Karlsbach nach Neumarkt verfahre ich mich wieder und lande schließlich nach längerem Suchen an der Abzweigung eines Wirtschaftsweges. Der Schranken, mit dem der Weg abgesperrt ist, hätte mir Warnung genug sein müssen. Aber von so etwas lasse ich mich doch nicht aufhalten. Die Absperrung wird umgangen, dann folge ich dem Weg. Der führt mich in einen Auwald, wird schnell zu einem verwachsenen Feldweg und dann zu zwei Traktorspuren mit einem Mittelstreifen, alles kaum zu befahren. Zu beiden Seiten des Weges dichtes Gestrüpp, das bis in die Fahrspur hineinwächst. Schließlich fahre ich auf einer Art Wanderweg durch die Ybbsau. Das ich hier nicht richtig bin, weiß ich mittlerweile, aber umdrehen, durch den Dschungel wieder zurück und dann erst recht nicht wissen wohin? Nein, dann schon lieber weiter. Ich bin inzwischen patschnass, dreckig vom schlammigen Weg, das Regengewand ist voll Blätter, Blüten und was weiß ich, was da sonst noch dranklebt. Aber inzwischen stört mich das alles nicht mehr, ich möchte nur noch den richtigen Weg finden und raus aus diesem Gemüse – so schnell ändern sich die Prioritäten.
Irgendwann wird der Weg wieder besser, ein breiter Wanderweg, zwischendurch sehe ich immer wieder mal die Ybbs, und dann bin ich endlich zurück in der Zivilisation. Also Häuser und richtige Straßen. Na ja – zumindest weiß ich jetzt, dass mein Gravel Bike durchaus auch geländetauglich ist. Den richtigen Weg habe ich aber immer noch nicht gefunden. Ich irre beim Schloss Hubertendorf zwischen Aufwald – da geht es nicht weiter – und der Bundesstraße B 1 – da will ich nicht weiter – herum und suche nach einer Lösung. Die findet sich schließlich in einer Unterführung. Ich schleppe das Rad unter der Bundesstraße und der daneben liegenden Westbahntrasse durch und fahre weiter Richtung Blindenmarkt. Zum Glück bin ich alleine unterwegs, sehe keinen Menschen, niemand quatscht mich an, ich habe meine Stimmung im Keller also ganz für mich allein, fluche im Regen vor mich hin und ärgere mich über mich selbst, weil ich nicht auf der Straße geblieben bin.
Überraschenderweise stoße ich kurze Zeit später auf den Ybbstalradweg der von Karlsbach über Emsbach nach Blindenmarkt führt. Okay – jetzt aber keine Wegexperimente mehr. Immer schön auf dem Radweg bleiben – der immer noch kein Radweg ist, sondern auf Straßen durch die Ortschaften und die Gegend führt. Aber leichter gesagt als getan. Die Wegfindung ist schwierig, die Markierungen sind leicht zu übersehen, zumal ich im Regen, nicht ganz so aufmerksam bin wie bei trockenem Wetter. Ein paar Kilometer weiter, in Kottingburgstall, verfahre ich mich noch einmal, drehe eine weite Extrarunde auf der L 97, fahre dann wieder zurück und komme irgendwann tatsächlich nach Blindenmarkt.
Einmal erlaube ich mir dann noch, die Landstraße zu verlassen und nehme einen asphaltierten Wirtschaftsweg entlang der Westbahn. Dabei lasse ich mich aber auf keine Wagnisse mehr ein, checke genau, wo ich hin muss und komme bei St. Georgen am Ybbsfeld planmäßig wieder auf den Ybbstalradweg. Auf dem bleibe ich jetzt auch, was kein Problem mehr darstellt, weil die Beschilderung jetzt auch deutlich besser wird. Ich befinde mich kurz vor Amstetten und bei der Durchfahrt, möchte ich mich nicht noch einmal verfahren. Also – volle Konzentration. Der Weg durch Amstetten ist dann überraschenderweise problemlos zu finden und weit weniger unangenehm als erwartet.
Auch danach gibt es bei der Wegfindung keine nennenswerten Schwierigkeiten mehr, egal ob die Route auf eigenen Radwegen oder auf Straßen durch die Ortschaften führt – die Beschilderungen und Markierungen weisen den Weg sicher bis nach Waidhofen.
Allerdings ist in Amstetten noch nicht einmal die Hälfte meiner 50 Kilometer geschafft, und ich bin bereits zweieinhalb Stunden unterwegs. Wenn ich daran denke, dass ich noch etwa 30 Kilometer vor mir habe, also noch etwa zwei Stunden fahren muss – und kein Ende des Regens in Sicht ist –, sinkt meine Motivation noch tiefer, als sie ohnehin schon ist. Aber diese Überlegungen bringen mich nicht ans Ziel. Deshalb: weiterfahren! Ich könnte natürlich auch mit einer Lokalbahn mit Radtransport nach Waidhofen fahren – aber irgendwie widerstrebt es meinem Ego, die geplante Runde so zu verkürzen. Entweder das ganze Programm oder gar nichts. Und aufgeben ist sowieso keine Option. Doch nicht wegen ein bisschen Regenwetter.
Von nun an geht es ohne große Probleme nach Waidhofen, ich habe zwar noch zwei kleine Patzer – aufgrund des Regens übersehe ich die Abzweigungen, erkenne aber schnell meinen Fehler, daher hat das keine wesentlichen Auswirkungen mehr. Von der Gegend bekomme ich wenig bis gar nichts mit. Orte wie Greinsfurth, Hausmeining, Niederhausleiten, Kematen und Rosenau ziehen an mir vorbei oder ich durch sie hindurch, ohne, dass sie irgendeinen Eindruck hinterlassen. Irgendwie geht mir ständig ein Textzeile von Konstantin Wecker durch den Kopf: „Stur die Straße lang und nichts denken, nur: es ist heiß heute.“ Für mich gilt: Stur den Radweg lang und nichts denken, nur: es ist nass heute.
Ich will nur noch nach Waidhofen, ins Hotel, aus den nassen Klamotten raus, unter eine heiße Dusche und in trockene Sachen. Und ein Bier und was zu Essen – in dieser Reihenfolge. Pause mache ich keine. In dem nassen Zeug in ein Café oder Gasthaus zu gehen, möchte ich nicht. Der Regen hat zwar inzwischen den Dreck aus der Au von Kleidung und Rad gespült, aber ich bin trotzdem völlig durchnässt und will mich so in kein Lokal setzten. Es hätte vermutlich ohnehin schnell zu einem Rauswurf geführt, wenn ich dort alles vollsabberte.
Irgendwann lässt der Regen tatsächlich etwas nach, hört für eine kurze Zeit auf, bevor es vor Waidhofen wieder zu nieseln beginnt.
Dann bin ich endlich an meinem Ziel – nach mehr als viereinhalb Stunden Fahrt, und aus den geplanten 50 Kilometern sind schließlich 63 geworden. Trotzdem bin ich überglücklich. Auf dem Oberen Stadtplatz ist irgendeine Leistungsschau des Bundesheers, da fahre ich einfach durch – ist mir egal, blöde Blicke werden ignoriert. Und dann stehe ich vor meinem Quartier. Der Gasthof „Zum schwarzen Bären“, der kein Wirtshaus mehr ist, sondern nur noch eine Frühstückspension. Ohne Rezeption. Ein Anruf bei einer Kontaktnummer beschert mir die Zahlenkombination zum Schlüsselsafe für mein Zimmer. Das Rad parke ich im Gang des alten Hauses, dann geht es ins Zimmer. Das ist zwar geräumig, hat aber keinen Kasten – brauch ich sowieso nicht – und daher auf keine Kleiderhaken, die hätte ich schon benötigt. Auch egal. Dann wird eben alles vollgehängt was vollgehängt werden kann, und als ich aus der Dusche komme, sind mir überall im Zimmer meine nassen Sachen, die zum Trocknen herumliegen, im Weg. Aber heute habe ich schon schlimmeres erlebt.
2. Etappe (Samstag, 4.5.)
Zum Glück stimmt die Wetterprognose – im Schlechten wie im Guten. Heute ist es trocken, der Regen hört am Morgen auf. Ich beginne mal meine Klamotten und das Zeug zu checken, das ich gestern im Zimmer verteilt und aufgehängt habe. Alles ist wieder trocken geworden. Zur Sicherheit lasse ich es noch bis nach dem Frühstück hängen.
Kurz nach acht Uhr gehe ich hinunter ins alte Gastzimmer, wo nun der Frühstücksraum ist. Die Wirtsleute sind da, ich fülle meine Anmeldung aus und genehmige mir in aller Ruhe ein üppiges Frühstück. Der Gastraum ist fast leer, ein Einheimischer sitzt allein an einem Tisch – bei einem Spritzer weiß. Um halb neun Uhr morgens – manche Dinge ändern sich nie in Österreich und bleiben überall erhalten.
Dann kommen auch noch die wenigen anderen Gäste zum Frühstück. Biker mit dem Motorrad. Der „Schwarze Bär“ war früher sicher einmal ein gut gehendes Wirtshaus, wie viele andere seinesgleichen auf dem Land. Mit Gästezimmern, durchgehend warmer Küche, einem Haufen Stammgäste aus dem Ort und vielen Sommerfrischlern und Ausflüglern aus den Großstädten am Wochenende. Jetzt liegt er als Frühstückspension in seinen letzten Zügen, hat noch am Vormittag geöffnet. So können auch die Einheimischen noch auf einen Kaffee – oder einen Spritzwein – vorbeikommen. Aber ab elf Uhr ist zu.
Das Interieur stammt aus den 70er- oder 80er-Jahren. Es erinnert mich an die Wirtshäuser in denen ich mich als junger Mann im Raum St. Pölten herumgetrieben habe. Damals wahrscheinlich eine teure Massivholzausstattung, heute in die Jahre gekommen, aus der Zeit gefallen. Aber für eine Erneuerung fehlt das Geld. Irgendwann wird der „Schwarze Bär“ dem Schicksal vieler anderer Wirtshäuser auf dem Land folgen und zusperren. Möglicherweise reichen die radfahrenden Gäste aber für ein notdürftiges Überleben. Es wäre ihm zu wünschen. Zumindest der einheimische Gast sorgt dafür, dass das Geschäft in Gang bleibt. Er hält sein Weinglas hoch, bestellt bei der Wirtin mit verschmitztem Grinsen eine Melange und bekommt einen neuen Spritzer.
Die geplante Tour heute nach Lunz am See sind nur ungefähr 60 Kilometer, drei Stunden maximal. Ich habe also genügend Zeit und keinen Stress. Auf dem Hohen Markt ist ein Flohmarkt. Nach dem Frühstück vertrete ich mir ein wenig die Beine. Es ist noch bewölkt aber manchmal kommt schon die Sonne durch. Ich schlendere über den Platz, schaue ein bisschen, was es an den Ständen so gibt, ohne die Absicht, etwas zu kaufen. Wie sollte ich das auch mitnehmen? Einzig in einem Radgeschäft – für Waidhofen unerwartet groß, das Geschäft mit den Radfahrern scheint hier also gut zu laufen – kaufe ich einen Regenüberzug für den Helm. Der hat mir gestern gefehlt, vermutlich werde ich ihn aber nicht brauchen.
Ich spaziere noch eine Weile durch die Altstadt, die jetzt langsam zum Leben erwacht. Dann, am späten Vormittag, gehe ich zurück ins Hotel und mache mich reisefertig. Es dauert eine Weile, bis ich meine Sachen beisammen und wieder so in den Packtaschen verstaut habe, dass alles passt. Ich checke aus, richte mein Bike her und mache mich auf den Weg. Mittlerweile hat sich die Bewölkung beinahe aufgelöst und der Sonne Platz gemacht.
Durch das Ybbstor komme ich auf den Radweg und weiter aus der Stadt hinaus. Der Abschnitt von Waidhofen nach Lunz entschädigt mich für die Misere des gestrigen Tags. Er gilt zu Recht als einer der schönsten Radwege in Niederösterreich. Die Route führt über Opponitz, Hollenstein und Göstling nach Lunz. Über weite Strecken folgt ein gut ausgebauter Radweg der ehemaligen Trasse der Ybbstalbahn, die oft knapp am Fluss entlangführt. Hier würden einige Badeplätze im Sommer zum Verweilen und zum Abkühlen im Wasser einladen. Jetzt, Anfang Mai, sind die Temperatuten und das Wasser noch zu kalt.
Das schöne Wetter motiviert, außerdem herrscht wenig Radverkehr. Es geht zügig voran, und es macht einfach Spaß, durch das Ybbstal in einer grandiosen Landschaft zu radeln. Es macht so viel Spaß, dass ich auf Zwischenstopps und Abstecher verzichte, und nur eine Pause mache, um am Flussufer einen Apfel zu essen. Nicht einmal für Fotos bleibe ich stehen.
Als ich am Nachmittag nach drei Stunden und fünfzehn Minuten Fahrt die 58 Kilometer hinter mir habe und am Ufer des Lunzer Sees stehe, bin ich zwar erleichtert aber auch ein bisschen enttäuscht, weil das Vergnügen schon wieder vorbei ist. Und es hat keine nennenswerten Probleme gegeben. Keine Schwierigkeiten mit der Wegfindung und keine Widrigkeiten mit dem Wetter – es war einfach Genuss pur. Unter diesen Bedingungen hätte ich locker noch ein paar Kilometer heruntergeradelt.
Ich bleibe noch ein bisschen am See und genieße die Stimmung hier. Wenig Leute, ein paar Ausflügler, ein paar Radfahrer. Aber als ich mich mit einem Radler (dem Getränk) belohnen will, stelle ich fest, dass die Lokale hier am See noch geschlossen haben. Vorsaison. Vermutlich wartet man mit dem Öffnen auf den Touristenansturm im Sommer. Auch gut. Dann fahre ich in die Ortschaft, ich bin ja ideal mobil. Dort finde ich auf dem Kirchplatz das Café Platzhirsch mit einer netten Terrasse. Und weil das Lokal auch eine Konditorei ist, kommen zum Radler gegen den Durst auch noch Kaffee und Torte für den Genuss und als Krönung einer schönen Radtour hinzu.
Frisch gestärkt geht es anschließend den letzten Kilometer bergauf zu meiner Unterkunft in die Pension Paula. Dort werde ich herzlich empfangen, auch wenn es für die Wirtsleute ein bisschen stressig zu sein scheint. Nicht wegen mir – für den Abend ist eine große Geburtstagsfeier angesagt, und die Vorbereitungsarbeiten laufen auf Hochtouren. Dann trink ich halt noch ein Bier vor dem Einchecken und genieße noch ein wenig die Sonne auf der Terrasse. Anschließend beziehe ich mein Zimmer, das im obersten Stock liegt, damit mich der Lärm der Feier möglichst wenig stört.
Im Zimmer entdecke ich, dass ich im Hotel in Waidhofen mein Ladegerät mit den Ladekabeln für Handy und Uhr vergessen habe. Ein Anruf dort bestätigt meine Befürchtung. Das Versprechen, mir das Ladegerät nach Hause zu schicken, löst das Problem nicht. Mein Handyakku ist halb leer. Wenn ich sparsam damit umgehe, reich er vielleicht für den größten Teil der morgige Etappe. Die Uhr wird sicher im Laufe des Vormittags ihren elektronischen Geist aufgeben. Doch das ist zu verkraften. Die Aussicht, auf analoge Navigation umzustellen – ich habe zwar eine Papierkarte mit, aber die Wegfindung ist damit um einiges aufwendiger – erscheint mit allerdings weniger prickelnd. Aber so ist das Leben – da muss man durch.
Nach einer Dusche und einer kurzen Erholungspause gehe ich wieder ins Gasthaus hinunter zum Abendessen. Dort hat im Extrazimmer schon die Feier begonnen. Es dauert daher ein bisschen länger, bis ich mein Essen bekomme. Das ist verständlich, angekündigt und stört mich auch nicht. Ich habe was mit zum Lesen.
Nach dem Essen, zwischendurch findet die Wirtin sogar Zeit, mit mir ein wenig zu plaudern, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und lasse den Tag mit einem kurzen – wegen Akkuschonung – Telefonat mit Ulli und ein wenig fernsehen ausklingen. Immerhin bin ich nach den rund 60 Kilometern auch rechtschaffen müde. Trotzdem – so sollen Radfahrtage sein.
- Das Bike
- Lunzer See
- Radler, Kaffee und Torte als Abschluss
3. Etappe (Sonntag, 5.5.)
In der Nacht hat es geregnet, am Morgen aber ist es schön und sonnig. Laut Prognose soll es so auch den ganzen Tag über bleiben. Die Geburtstagsparty hat mich nicht gestört. Bis auf ein Paar, das im Gasthaus übernachtet hat und offenbar ebenfalls die Räder mithat, ist der Gastraum beim Frühstück leer.
Nur die Wirtin ist da. Sie erzählt mir von ihren Problemen – kein Personal, keine Zukunft. Obwohl das Geschäft im Gasthaus gut ginge, hat sie sich entschlossen, den Betrieb auf eine reine Frühstückspension umzustellen. Das sei leichter zu organisieren und benötige auch weniger Personal. Mehr sei derzeit auf Dauer kaum noch zu schaffen. Ich denke an den „Schwarzen Bären“ in Waidhofen, den dieses Schicksal bereits ereilt hat, und an das allgemeine Wirtshaussterben auf dem Land. Wieder eines weniger. Diese Gedanken trüben ein wenig die Freude auf die bevorstehende Tour.
Nachdem ich meine Sachen gepackt habe, diesmal geht es schneller, weil ich keine Klamotten zum Trocknen herumhängen habe, und abfahrbereit bin, fällt der Abschied herzlich ab er auch ein bisschen wehmütig aus.
Die melancholische Stimmung verfliegt aber schnell, als ich wieder auf dem Rad sitze. Denn der Erlauftalradweg führt von Lunz am See nach Kienberg über die L 6176 und es geht vom Gasthaus Paula gleich mal bergauf. Da bleibt mir wenig Zeit, um über den Zustand der Wirtshauskultur nachzudenken. Vielmehr kämpfe ich mit den Steigungen. Es sind zwar insgesamt nur 100 Höhenmeter, aber nachdem es zwischendurch immer wieder bergab geht, hängen sich diese ersten fünf Kilometer am Morgen dann doch ziemlich in die Oberschenkel. Aber es hilft nichts – Zähne zusammenbeißen, sprichwörtlich natürlich, und raufstrampeln. Zur Belohnung geht es dann zehn Kilometer rasant bergab. Zwar auf der Landesstraße, da ist am Sonntag in der Früh aber kein Verkehr. Dafür ist sie im Wald noch vom nächtlichen Regen feucht, weshalb ich es nicht ganz so schnell laufen lasse.
In Kienberg-Gaming komme ich dann von der Landestraße auf einen Radweg. Hier könnte man die Kartause besichtigen, was bei mir aber nicht auf dem Programm steht. Außerdem ist es dafür ohnehin zu früh, die hat sicher noch nicht geöffnet.
Zwischen Kienberg-Gaming und Wieselburg verläuft auf ca. 40 Kilometern der Kleine Erlauftalradweg, dem ich jetzt folge. Die nächsten zehn Kilometer bis nach Scheibbs geht es stetig leicht bergab, dann verläuft der Weg aber mehr oder weniger flach entlang der Erlauf.
Pausen und Gelegenheiten zum Sightseeing und Fotografieren lasse ich aus. Ich nutze den Umstand, dass mir der Weg am Sonntagsvormittag noch alleine gehört und radle gemütlich vor mich hin.
Der Radweg führt durch das Erlauftal, entlang der Bundesstraße, manchmal an der Erlauf vorbei und durch kleine Orte. In Scheibbs geht es entlang des Flusses auf der Erlaufpromenade zügig und problemlos durch die Stadt. Danach bleibt der Weg an der Erlauf, führt über Weisen und Felder, durch Ortschaften wie Saffen und Sölling bis nach Purgstall. Dort verfahre ich mich das erste Mal. Da mein Handyakku fast leer ist, verwende ich die Navi-App nur im Notfall. So wie jetzt. Ich finde zurück auf den Radweg, der aber wegen eines Kirtags im Zentrum von Purgstall nicht befahrbar ist. Damit habe ich nicht gerechnet. Es dauert eine Weile, bis ich das „Hindernis“ umfahren haben und es weiter nach Wieselburg geht.
Nach Purgstall entfernt sich die Route von der Erlauf und führt durch das ab nun immer flacher werdende Mostviertel. Durch kleine Dörfer, Futterweisen und Felder beiderseits des Weges. In Wieselburg kommt der Radweg wieder zum Fluss, folgt ihm, durchquert das Messegelände. Plötzlich stehe ich vor einem Gebäude, inmitten einer Veranstaltung und der Radweg scheint hier zu enden. Ich fluche leise in mich hinein, weil ich mir nicht erklären kann, wo ich eine Abzweigung übersehen haben könnte, obwohl ich höchst aufmerksam gewesen bin. Zwei Frauen, die an einem Tisch Getränke ausschenken, beobachten mich neugierig, eine von ihnen erkennt offenbar mein Problem und sagt mir, ich solle einfach weiterfahren. Auf meine Nachfrage erklärt sie mir, der Radweg führe hier weiter. Also radle ich die paar Meter durch die Messehalle und komme auf der anderen Seite auf einen Parkplatz, wo der Radweg tatsächlich weitergeht. Das ist eine echt kreative Wegführung, denke ich, als ich wieder an der Erlauf bin.
Nach Wieselburg, etwa auf der Höhe Petzenkirchen, stellen zunächst meine Armbanduhr und danach das Handy ihren Dienst ein. Zum Glück bin ich aus einer Generation, die zwar die Annehmlichkeiten der Technik zu schätzen weiß, aber durchaus auch ohne sie und analog überlebensfähig ist. Ich kann auch Kartenlesen. Das brauche ich auch, als ich mich noch einmal verfranse. Denn jetzt schlängelt sich die Erlauf auf ihren letzten zehn Kilometern der Donau entgegen, und der Radweg führt unübersichtlich vorbei an Teichen, durch Ortschaften und ein bisschen Landschaft. Mit der Landkarte finde ich wieder den rechten Weg und diesmal bleibe ich konzentriert und achte auf Wegweiser und Markierungen.
So komme ich schließlich ohne Schwierigkeiten nach Pöchlarn, wo am westlichen Stadtrand die Erlauf in die Donau mündet. Hier mache ich noch eine kurze Rast. Jetzt kann nicht mehr viel schiefgehen, denke ich. Den Donauradweg entlang flussaufwärts, zehn Kilometer bis nach Ybbs. Also etwa eine halbe Stunde noch. Denke ich. Allerdings habe ich meine Rechnung ohne den Wind gemacht. Der bläst mir an der Donau so stark entgegen, dass ich manchmal Angst habe, er könnte mich vom Rad fegen, und glaube, ich fahre bergauf – aber steil.
Nach ein paar Kilometern, in Krummnussbaum, reicht es mir schon und ich mache noch eine Pause, esse einen Apfel und checke den Weg auf der Karte. Doch es nützt alles nichts – ich muss weiter. Also noch einmal Zähne zusammenbeißen, sprichwörtlich immer noch, und stramm im Gegenwind stromaufwärts.
Dann – eigentlich ziemlich überraschend – stehe ich in Ybbs an der Bundesstraße B 25, wenige hundert Meter vom Bahnhof entfernt, wo ich vor zwei Tagen im Regen schon einmal geradelt bin. Hoch erfreut, dass ich es geschafft habe, und entsprechend beschwingt, fahre ich die letzten Meter bis zum Parkplatz beim Bahnhof und zum Auto. Nach 70 Kilometern und etwa vier Stunden Fahrzeit habe ich meine Radtour beendet. Die Generalprobe für mehrtägige Touren ist gelungen.
Die nächste wartet bereits – zu Pfingsten in Italien. Der Alpen-Adria-Radweg von Villach nach Grado. Diesem Ereignis sehe ich jetzt, nach den letzten drei Tagen, entsprechend gelassen entgegen.